Seit Wochen liest man in den Zeitungen und Zeitschriften im Teil Politik oder Internationales – oder gar in zu Sonderausgaben ausartenden Berichten wie bei Spiegel und Stern immer wieder von Kundus. Da wird davon berichtet, wer angeblich wann was gewusst habe weil irgendwer irgendwem irgendwas sagte. Woher diese Informationen stammen ist dabei nie so ganz klar.
Worüber erstaunlich wenig berichtet wird, sind die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Oberst Georg Klein. Da ist die Rede von den Entschädigungszahlungen für die zivilen Opfer des 04. Septembers 2009, da wird über den grundsätzlichen Hintergrund der Bundeswehrbeteiligung am ISAF-Einsatz geschrieben, über Präsident Barack Obamas Forderungen nach mehr Soldaten der NATO-Partner, aber kaum jemand scheint sich die Frage danach zu stellen, warum ein Soldat vor ein ziviles Gericht gestellt werden soll.
Natürlich ist Oberst Klein nicht der erste Soldat, dem bevorsteht, dass staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen ihn aufgenommen werden.
In der Bundesrepublik Deutschland gäbe es laut Artikel 96, Absatz 2 im Grundgesetz die Möglichkeit, so genannte Wehrstrafgerichte im Verteidigungsfall und für Auslandseinsätze einzurichten. Bisher sind sie jedoch nicht eingerichtet worden und somit unterliegen die Angehörigen der Bundeswehr weiterhin der zivilen Gerichtsbarkeit.
(2) Der Bund kann Wehrstrafgerichte für die Streitkräfte als Bundesgerichte errichten. Sie können die Strafgerichtsbarkeit nur im Verteidigungsfalle sowie über Angehörige der Streitkräfte ausüben, die in das Ausland entsandt oder an Bord von Kriegsschiffen eingeschifft sind. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Diese Gerichte gehören zum Geschäftsbereich des Bundesjustizministers. Ihre hauptamtlichen Richter müssen die Befähigung zum Richteramt haben.
In Deutschland wie in Frankreich ist es derzeit so, dass es Militärgerichte im Friedensfall nicht gibt. Das heißt, wenn sich auch deutsche Soldaten im Raum Kundus täglich unter Beschuss befinden und dies tatsächlich kriegsähnliche Zustände sind, wie es ja auch Verteidigungsminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg versteht, der Einsatz aber offiziell (aus verschiedensten Gründen) kein Krieg ist, dann gibt es in Deutschland auch kein Militärgericht. Bei Vorfällen im Auslandseinsatz ist dann die zivile Gerichtsbarkeit zuständig. Nach deutschem Recht löst die Tötung eines Menschen durch einen deutschen Staatsangehörigen automatisch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen aus. Diese müssen allerdings nicht zwingend zur Einleitung eines Strafverfahrens führen.
Im Herbst 2008 sind in der Nähe von Kundus eine Frau und zwei Kinder bei einem tragischen Zwischenfall an einem Checkpoint getötet worden. Infolgedessen wurde ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen einen Bundeswehrsoldaten eingeleitet. Viele Soldatinnen und Soldaten waren verunsichert und hatten wenig Verständnis dafür, dass für die Ermittlungen im Kontext eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr dieselben Maßstäbe wie im Inland angelegt wurden – gleichzeitig fühlten sie sich vom damaligen Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung allein gelassen. Nachdem sich der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe damit beschäftigt hatte, wurde der Rechtsschutz für die Soldatinnen und Soldaten verbessert. Nun trägt der Bund die Kosten der strafrechtlichen Rechtsverteidigung, wenn Bundesbedienstete im Rahmen einer dienstlichen Tätigkeit im Ausland einer Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit beschuldigt oder verdächtigt werden.
Doch wie der Fall Kundus zeigt, bleibt die Verunsicherung in der Truppe.
Die Untersuchung einer Tötung im Ausland soll hier gar nicht in Abrede gestellt werden. Doch das eigentliche Problem scheinen die zivilen Gerichte zu sein. Wer von uns kann sich denn wirklich in die Situation hineinversetzen, ständig unter Beschuss zu stehen und sich dann gegebenenfalls auch nur zu wehren? Derzeit ist es so, dass die Gerichtsbarkeit in Deutschland da liegt, wo der Soldat stationiert ist. Es wird überlegt, ob man nicht ein spezialisiertes Gericht, ein so genanntes „Zentralgericht“ einrichtet, etwa in Potsdam, was ja vom Einsatzführungskommando mit Sitz in Geltow nicht so weit weg ist.
Gegen die Einrichtung eines solchen Gerichtes spricht angeblich, dass Justiz und Militär nicht vereinbar seien – so nennt Prof. Dr. Sibylle Tönnies, Juristin, Soziologin und Publizistin mit Lehrauftrag für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Völkerrecht an der Universität Potsdam, eine demokratische Problematik in ihrem Artikel Die Bundeswehr braucht keine Sondergerichte indem sie Kurt Tucholsky (der ja nebenbei auch noch Soldaten als Mörder verunglimpfte) zitiert.
Und doch nennt Prof. Dr. Tönnies das eigentlich Entkräftende ihres Argumentes selbst – eine militärische Gerichtsbarkeit wie im Grundgesetz erlaubt, untersteht dem Justizminister – nicht jedoch dem Verteidigungsminister.
Was jedoch für ein solches Gericht spräche, wäre dass sich endlich Richter mit den Vorfällen befassen würden, die sich mit Afghanistan nicht nur aus der Zeitung oder der Tagesschau auskennen, sondern solchen, die sich sowohl mit dem Aufbau der Bundeswehr (gerade was Kundus angeht, gibt es ja wohl erhebliche Kenntnislosigkeit allein schon was die Tatsache angeht, wer wem wann welchen Befehl geben kann – ein deutscher Oberst kann ja nun wohl nicht die amerikanische Luftwaffe befehlen) als auch mit der Sicherheitslage vor Ort auskennen.
Was für ein solches Gericht spräche, wäre außerdem, dass die Soldaten nicht von vorneherein vorverurteilt werden würden – wie es ja auch ein Oberst Klein verdient hätte, sich erst einmal anhören zu lassen.
Das Zitat im Titel deutet darauf hin, dass zivile Richter die Lage die zu diesem oder jenem Zwischenfall geführt haben, eventuell nicht so gut einschätzen können wie dies Richter könnten, die auf Auslandseinsätze spezialisiert sind. Vielleicht würden Soldaten bei einem solchen Richter nicht nur aufgrund der „actions“ verurteilt werden, vielleicht stießen sie aufgrund ihrer „intentions“ gar auf etwas Verständnis. Die Gefahr, jeden Soldaten von vornherein von jedem Verdachtsmoment frei zu sprechen besteht nicht, da es sich ja immer noch um unparteiische Richter handelt.
Keineswegs jedoch sollte, wie Prof. Dr. Tönnies im Untertitel ihres Artikels fordert, Das Töten im Krieg […] normalen Maßstäben unterworfen bleiben. Denn wenn sie sich tatsächlich mit den täglichen Angriffen auf unsere Soldatinnen und Soldaten (oder gar Mitbürger, wenn sie von normalen Maßstäben spricht) beschäftigen würde, würde sie merken, dass diese im Einsatz keineswegs normalen Maßstäben unterworfen sind.
Im Sinne unserer Soldaten die sich jeden Tag neu dafür entscheiden, Leib und Leben für ihre Kameraden, dieses Land und die Menschen hier sowie im Einsatzland zu riskieren sollten wir noch einmal überdenken, wie sinnvoll eine zivile Gerichtsbarkeit ist – denn nur wer nicht im Voraus schon vorverurteilt ist, hat auch eine Chance seine Unschuld zu beweisen.