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Bodenlose Frechheit

"...Hope..." von ĐāżŦ {mostly absent}

Fotoquelle: „…Hope…“ von ĐāżŦ {mostly absent} (flickr.com)

Seit fast einer Woche schreibt Daniel Lücking sein PTBS-Blog Aufräumen, Kamerad!. Einige seiner Erlebnisse, Erfahrungen und Einstellungen kenne ich schon – von ihm und anderen Soldaten. Doch besonders berührt hat mich sein gestriger Beitrag „Über die Freiwilligkeit des Dienstes und der Einsätze“. Darin erzählt er davon, wie er zunächst SaZ 4 als Mannschaftssoldat wurde. Immer wieder wurde er auf die für ihn doch so passende Offizierlaufbahn angesprochen. Zunächst lehnt er ab, weiß nach vier Monaten als Soldat noch nicht, ob er Menschen führen will – und kann, gerade ist SFOR aktuell. Dann der Satz, der mich enttäuscht, erschüttert und wütend macht:

Mein Spieß erzählt mir, dass man um Einsätze immer irgendwie herum käme.

Die Aussage vom Spieß ist für mich eine bodenlose Frechheit. Sie erinnert mich an die Erzählung von Joshua Key in seinem Buch „The Deserter’s Tale“. Darin berichtet der amerikanische Pionier davon, dass ihm bei der Rekrutierung 2002 erzählt wurde, er müsse niemals in den Einsatz und würde lediglich in den USA Brücken bauen. Tragischerweise hat Key das geglaubt (bis er in den Irakkrieg geschickt wird), Lücking ist nicht so blauäugig. Für ihn gehört der Einsatz ganz logisch auch zum Soldatentum dazu.

Die Mär vom Soldaten, der sich nicht nur für das Töten sondern auch für das Verwundet werden und Fallen entschieden hat, wird ja gerade bei Anschlägen auf die Bundeswehr in den Online-Kommentaren der großen Tageszeitungen immer wieder aufgewärmt. „Selber schuld“ und „Soldaten sind Mörder“ gehört da häufig zum sprichwörtlichen guten Ton. Und wenn dann noch so ein Spieß kommt und davon schwärmt, dass man Offizier ja quasi auch völlig ohne Einsatz sein kann, platzt mir die Hutschnur.

Für mich ist die Aussage des Spieß ein Schlag ins Gesicht des Soldaten, seiner Freundin/Frau und seiner Kinder. Wenn es so einfach wäre, sich vor einem Einsatz dauerhaft „zu drücken“ (und als nichts anderes müsste man es wohl bezeichnen), wären sicher viele Beziehungen noch intakt, viele junge Menschen hätten Weihnachten zu Hause verbracht und tausende Väter hätten die ersten Schritte ihrer Kinder selbst gesehen und nicht nur auf Video verfolgt. Vieles davon hat Lücking selbst verpasst, gerade weil die Einsätze für ihn dazu gehören.

Mit dem schon fast etwas in der Luft schwebenden Satz über die Zeit nach seinem letzten Afghanistaneinsatz endet dieser Beitrag: 

Wie sehr ich meine Familie zu dem Zeitpunkt schon belastet hatte, war mir nicht bewusst.

Sein Text macht mich nachdenklich, traurig und wütend, ich kenne den Autor gut, habe besonders die ansteigende psychische Belastung in den letzten Monaten miterlebt. Nicht nur die Einsatzplanung ließ (und lässt ja generell) über weite Strecken zu wünschen übrig, auch der BFD ist (milde gesagt) schwierig.

Bloggerkollege Thomas Wiegold hat gleich zu Beginn dessen, was ich als Schreibtherapie oder Interapy bezeichnen würde, bei Augen Geradeaus auf das PTBS-Blog verwiesen. Er ordnet das Blog ein, lobt den Mut Daniel Lückings, seine Reaktion auf die Einsätze in einer Therapie aufzuarbeiten und sie auch öffentlich zu verarbeiten. Lücking macht sich durch die öffentliche Aufarbeitung seiner „einsatzbezogenen Belastungsreaktion“ (wie es im Medizinerdeutsch heißt) natürlich ein Stück weit verletzlich. Zu seiner Methode kann man stehen, wie man mag. Ich finde, sie verdient Respekt. Lücking will offen sein, auch selbst mit sich klar kommen, „outet“ sich noch während des Prozesses der Therapie. „Raus aus der Dunkelziffer“ ist der Untertitel seines Blogs, denn genau da, im (Ver)Schweigen und „schon irgendwie funktionieren“ liegt die Gefahr. Es gibt schon viel zu viele Veteranen in Deutschland, die mit ihren Problemen, Belastungen und Gedanken allein gelassen werden und den Weg zurück ins (zivile) Leben nicht schaffen, nicht mehr schaffen wollen und das alleine auch nicht können.

Einzelplan 14 findet den Weg über das Blog gut, richtig und sehr mutig und unterstützt Daniel Lücking als Bloggerkollegin, aber auch als Freundin.

Alles Gute, Daniel.

Leseempfehlung „Mein Freund ist in Afghanistan“

Meine Heimatfront empfiehlt völlig zu Recht „Mein Freund ist in Afghanistan“ von Maja Lenzen in der FAZ.

Darin erzählt die Freundin eines Bundeswehrsoldaten davon, wie das ist, wenn der Freund in Afghanistan ist, jeder Tag der letzte sein kann und was für Reaktionen sie bekommt, wenn sie erzählt, dass ihr Freund im Einsatz ist. Sie berichtet davon, wie unwirklich das friedliche Leben hier ist, von unterschwelliger Angst, Gefühlen der Schuld und davon, dass die Veranstaltungen des Familienbetreuungszentrums oft „gut gemeint, aber nicht gut gemacht“ sind. Leider ist das einigen von uns nicht neu:

…und dann sagte er etwas, das er dauernd wiederholte und was in meinem Kopf diese beiden Welten, die sich in diesem Vortragsraum in diesem Augenblick einander hätten nähern können, mit einem Mal so laut aufeinanderknallen ließ, dass danach die Kluft zwischen ihnen erst richtig sichtbar war. Er sagte nämlich: „Unsere Soldaten im Einsatz“ und er sagte: „Ihr Soldat im Einsatz“. Immer wieder sagte er das. „Unsere Soldaten“, „Ihr Soldat“. Ich aber saß da, hörte zu und dachte: Mein Freund ist nicht mein Soldat. Er ist mein Freund. Im Krieg…

Sie erzählt auch von der Rückkehr von Soldaten aus Afghanistan am Leipziger Flughafen, den sie sich angeschaut hat, um vorbereitet zu sein. Um zu wissen, wie so etwas vor sich geht.

Man sah, dass einige beim Friseur gewesen waren, jede von ihnen hatte sich sehr sorgfältig zurechtgemacht, einige hielten rote Rosen in der Hand. Die nicht mehr ganz so jungen Frauen, meistens mit schulfähigen Kindern an der Hand, wirkten vor allem müde und erschöpft. Wahrscheinlich, dachte ich, machen sie dieses Leben als Soldatenfrau schon länger mit, warten nicht zum ersten Mal, erst monatelang, jetzt am Flughafen.

Maja Lenzen schreibt einen bewegenden, sehr emotionalen und unverschleierten Text, der völlig ohne Kitsch auskommt und absolut lesenswert ist.

Am Mittwoch kommt ihr Freund zurück. Ich wünsche den beiden alles Gute und ganz viel Kraft.

Erzähl mir vom Krieg.

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In den letzten 10 Jahren habe ich etliche Kriegsgeschichten gehört. Einige waren unterhaltsam, bei einigen habe ich gelacht und bei einigen konnte ich nur zuhören. Manchmal bin ich einfach sprachlos. Sprachlos ob der Dinge, die Menschen in unserer Mitte erleben mussten, die sie jeden Tag mit sich herumtragen, die sie niemandem erzählen, die nur wenige ahnen.

Ein sehr guter Freund von mir war 2008 im Irak, als sein Panzer angesprengt wurde. “Ich habe hier Dinge gesehen, die kann ich meiner Frau und meiner Mutter nicht erzählen. Ich will sie nicht damit belasten, sie sollen sich keine Sorgen machen.“ schrieb er mir wenige Tage später aus dem Feldlager.

In den letzten Jahren habe ich auch Unterhaltsames gehört. Geschichten vom Hammelessen in Afghanistan etwa – “der hing da am Zelt, da war ein großer Fliegenschwarm drum herum, das Fleisch haben wir dann gegessen.“ Schmunzeln in der Runde… Geschichten von Shoppingerlebnissen auf dem Balkan. Erlebnisse, die im Nachhinein lustig sind.

Aber auch Geschichten, die allzu oft von einem Seufzen und Kopfschütteln (“Mein Gott, was da alles hätte passieren können…“) begleitet werden. Geschichten von verletztem Vertrauen, “Emergency Sex“ im Feldlager, der Sehnsucht nach einer heißen Dusche, den verpassten ersten Schritten der eigenen Kinder zu Hause. Auch Geschichten der Verlässlichkeit, der Kompromissbereitschaft “für den guten Zweck“, damit es weitergeht.

Es gibt auch die ruhigen Erzählungen, die mit dem abwesenden, suchenden Blick, die, bei denen sich mein Gesprächspartner an der Kaffeetasse festhält. Erinnerungen an Gefallene, daran wie und wann Kameraden und Freunde gestorben sind. Erinnerungen an Sinn- und Hilflosigkeit.

Sarkasmus, um die Verletzungen und Enttäuschungen nicht zulassen zu müssen. Zynismus, denn wie kann ein Soldat etwas, das ihm Staat und Armee zugesichert haben, tatsächlich erwarten? Schließlich war er bereit, das eigene Leben zu geben, die Frau zur Witwe und das Kind zum Halbwaisen zu machen – noch vor dessen Einschulung.

Ich habe zugesehen, als ein enger Freund traumatisiert aus seinem ersten Einsatz im Irak zurückgekehrt ist. Alltägliche Emotionen, die Freude über Sonnenschein, ein freier Parkplatz, waren viel zu extrem. Auch dadurch hat er seinen Bruder darin bestärkt, den gleichen Weg einzuschlagen. Nach dem zweiten Einsatz war er “wieder normal“.

Ich habe viel zu detaillierte Berichte über Gefechte mit Gefallenen gehört und dabei viel zu junge Witwen gesehen. Tapfer sei er gewesen, der Vater ihres kleinen Sohnes, der das alles noch gar nicht versteht. Im Krimi heißt das “Hatten Sie noch Pläne mit Ihrem Mann?“

An Tagen wie diesen, wenn Veteranen nicht mehr die von den Schlachtfeldern in Flandern sind, sondern junge Menschen, die noch einen großen Batzen ihres Lebens vor sich haben, bin ich nachdenklich – aber auch dankbar. Dankbar dafür, dass sie manchmal einen kleinen schmerzhaften Einblick in ihre Gedankenwelt geben. Dankbar für jeden Einzelnen, der gesund nach Hause kommt. Und für jeden, dessen Ehe das aushält, dessen Familie nicht in einem Land weit weg zerbricht. Auch weil die Frauen zu Hause manchmal die Zähne fest zusammenpressen.

Denn Armee ist nicht nur der schicke Typ in Uniform, der am Ende des Films das Mädchen kriegt. Soldaten sind auch (nur) Menschen.

Fernsehtipp: Kommissar Stolberg „Krieger“

Grafik eines FernsehersHeute Abend zeigt das ZDF eine Folge Kommissar Stolberg mit Bundeswehr- und Afghanistanbezug. Darin geht es um den Mord an Ex-Elitesoldat Armin Trenck, der möglicherweise in Verbindung mit seinem Einsatz in Afghanistan steht.

Aber ob das spannend wird? Weiterlesen

Rezension: Feindberührung – Ein bitterböser Blick auf die Einsatzrealität der Bundeswehr in Afghanistan

Cover des Kriminalromans Feindberührung von Gregor Weber

Gregor Weber ist als saarländischer „Tatort“-Kommissar Stefan Deininger bekannt. Der Schauspieler und Stabsunteroffizier d.R. setzt sich dafür ein, dass die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) in Deutschland mehr Aufmerksamkeit bekommt. Daher sprach er unter anderem am 03. April 2011 beim PTBS-Tag des Reservistenverbandes in Berlin. Sein Engagement für dieses Thema begründet er so:

„weil die betroffenen Soldatinnen und Soldaten unsere Nachbarn, Mitbürger, Freunde oder Verwandte sind. Sie sind unsere Soldaten. Sie machen traumatische Erfahrungen in Einsätzen, in die sie aufgrund parlamentarischer Entscheidungen entsandt werden. Von meinen Abgeordneten. In meinem Namen. Das verpflichtet zur Solidarität, selbst wenn man mit den Einsätzen politisch nicht einverstanden ist.“

Vor diesem Hintergrund erscheint es nur logisch, dass auch sein erster Kriminalroman Feindberührung (erschien am 23. Mai 2011) mit der Bundeswehr, Auslandseinsätzen und PTBS zu tun hat. Im Krimi beschäftigt er sich mit dem Alltag deutscher Soldaten im Einsatz in Afghanistan und nach ihrer Rückkehr in Deutschland. Webers Buch ist fiktiv, die Schauplätze sind eine fiktive Garnisonsstadt in Süddeutschland und das Einsatzgebiet der Bundeswehr in Afghanistan. Die Handlung dreht sich um den Fallschirmjäger Lars „Bomber“ Rems, der in Deutschland ermordet aufgefunden wird. Alles deutet darauf hin, dass der Mord in Zusammenhang mit seinem letzten Einsatz in Afghanistan steht, bei dem er durch eine IED-Explosion schwer verwundet wurde. Weiterlesen

Einsatzrealität – Anerkennung und Dankbarkeit für unsere Soldaten?

Die Bundeswehr-Soldaten und die Realität des Krieges

I have seen war
I have seen war on land and sea. I have seen blood running from the wounded. I have seen the dead in the mud. I have seen cities destroyed… I have seen children starving. I have seen the agony of the mothers and wives.
I hate war

(Franklin Delano Roosevelt Memorial, Washington DC)

In der vergangenen Woche kamen Interessierte auf Einladung der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz e.V., der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e.V. und der YATA in Neuwied bei Koblenz zusammen, um gemeinsam über das Thema
Gefahr – Verwundung – Trauma – Tod – Gedenken
Die Bundeswehr-Soldaten und die Realitäten des Krieges

zu diskutieren. Weiterlesen